Neue Apfelsorte: der Donsbacher Streifling

Land Hessen unterstützt eine Bestandsaufnahme im Lahn-Dill-Kreis

Dillenburg-Donsbach (red). Edle Apfelnamen: Sie heißen Kaiser Wilhelm, Prinzen-Apfel und „Flammender Kardinal“ - das sind nur einige der alten Sorten, die in den Streuobstwiesen rund um den Dillenburger Stadtteil Donsbach zu finden sind. Der Pomologe Steffen Kahl kennt sie alle. Er ist ein Fachmann für alte Obstsorten, deren Vielfalt ihn schon während seiner Ausbildung zum Gärtner Mitte der 80-er Jahre begeisterte und bis heute nicht mehr losgelassen hat. 

Und der Aßlarer kann eine Vielzahl von Geschichten, die sich um die Früchte ranken, erzählen. Beispielsweise wie es zum hochtrabenden Namen Kaiser Wilhelm-Apfel kam. Im Jahre 1864 schrieb der geschäftstüchtige Karl Hesselmann vom Hofgut Bürgel bei Solingen einen Brief an den kaiserlichen Hof in der Nähe von Berlin. Er bat darum, eine Apfelsorte nach dem Regenten benennen zu dürfen – und erhielt aus Potsdam die Erlaubnis. Das Baumobst wurde anschließend für den „Erfinder“ zum Verkaufsschlager. 

Zusammen mit Frank Markus Dietermann, dem Vorsitzenden der Donsbacher Ortsgruppe des Naturschutzbundes Deutschland, und weiterer Mitglieder erfolgte die Bestandsaufnahme alter, oft vor Jahrzehnten gepflanzter Obstbäume. Die Kartierung nimmt Kahl für die Landschaftspflegevereinigung Lahn-Dill (LPG) vor, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, das Verschwinden alter und oft schon vergessener Kulturen zu verhindern. Luftbildaufnahmen helfen bei der „Ortung“ der Obstbäume, von denen die meisten auf Streuobstwiesen stehen, nur vereinzelt verlieren sie sich auf den Viehweiden. 

Bewaffnet mit dem Apfelkescher wandert Kahl von Stamm zu Stamm, begutachtet Wuchs und Blätter, um dann geschickt eine Frucht zu pflücken, mit geschultem Blick zu prüfen und den Namen in die Landschaftskarte einzutragen: Gestreifter Mat-Apfel,  Graue französische Renette, Goldrenette von Blenheim, Signe Tillisch (Ursprungsland Dänemark) oder Riesenboiken (ursprünglich aus Norddeutschland stammend). 

Donsbach ist die erste Station für den Apfelexperten im nördlichen Dillkreis gewesen. Weitere Kartierungen erfolgen in Amdorf. Begonnen hat er mit seiner Mission im südlichen Teil des Kreises. In den Gemeinden Sinn und Waldsolms wurden bereits 1300 Bäume im Register erfasst und über 100 verschiedene Apfel- und Birnensorten gefunden. 

Die meisten Sorten - die ältesten wurden bereits von den Grafen von Solms und Greifenstein gepflegt - sind leider oftmals nur noch als einzelne Altbäume vorhanden und werden in den nächsten Jahren wegen ihres hohen Alters aus Landschaftsbild verschwinden. Daher gelte es, die Vielfalt zu erhalten, meinte der Apfelkenner. Darunter befinden sich der rote Herbstkalvill und der Carpentin, die durch ihre lange Lagerfähigkeit bestechen, sowie der Gagsapfel, der Siebenschläfer  und der Anhalter, die aus der Region stammen und sich an das mittelhessische Klima gewöhnt haben. Die gefundenen Regionalsorten werden über Reiser-Verjüngung auf Jungbäume wieder ausgepflanzt und so für die nächsten 100 Jahre gesichert.

Das Konzept aller dieser Projekte sieht eine intensive Zusammenarbeit mit örtlichen Vereinen und Initiativen vor. Aktuell sind unter anderem der Naturschutzverein Amdorf, die NABU-Ortsgruppen Edingen, Donsbach und Waldsolms, der Vogel- und Naturschutzverein Fleisbach, sowie die Obst- und Gartenbauvereine Edingen und Fleisbach in die laufenden Streuobstprojekte eingebunden. 

Denn zukünftig sollen möglichst viele Flächen dauerhaft gesichert werden, indem die Bäume ins Hessische Programm für Agrarumwelt- und Landschaftspflegemaßnahmen (HALM) aufgenommen und von Landwirten und Helfern vor Ort gepflegt werden. Hierzu wurden bereits erste Streuobstwiesen entbuscht und rund 200 Obstbäume durch Mitarbeiter der LPV geschnitten. Dieser aufwendige Wiederherstellungs- und Verjüngungsschnitt soll in Zukunft die Pflege der Bestände erleichtern. Weiterhin wurden 30 hochstämmige Obstbäume ausgewählter Sorten nachgepflanzt.

Kleine Episode zum Schluss. Hunderte Apfelsorten  kann Steffen Kahl mit Kennerblick bestimmen. Beim Rundgang in der Donsbacher Gemarkung musste der Experte allerdings einmal passen – und schon war ein neuer Name gefunden: Donsbacher Streifling. 

Die Angaben zur Anzahl der heutigen Kulturobstsorten schwanken stark. Mehrere 1000 Sorten sind definitiv bekannt, doch im Supermarkt findet man heute beispielsweise oft nur fünf bis sechs verschiedene Apfelsorten. In der Landschaft ist noch eine größere Vielfalt gegeben. Doch viele dieser Bäume werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten absterben, da sie größtenteils 100 Jahre und älter sind. Da die Streuobstwiesen aber als Genreservoir dienen und somit zum Erhalt der Kulturartenvielfalt beitragen, müssen die alten, nicht so krankheitsanfälligen Obstarten erhalten bleiben: Lageräpfel wie der Rote Eiserapfel, den man bis zu einem Jahr einkellern kann, oder Massenträger wie der Friedberger Bohnapfel, ein sehr guter Kelterapfel.  

 

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